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Tobias Holischka (assoziiertes Mitglied)

Unsere Vorstellung von Raum und unser Erfahren von Ort verlässt die gewohnten Bahnen, wenn wir uns mit den jüngsten technischen Errungenschaften im Umfeld der Computertechnologie konfrontiert sehen. Moderne Telekommunikation macht uns an nahezu jedem Ort erreichbar, Distanz relativiert sich. Das Datennetz schnürt die Welt zu einem globalen Dorf zusammen. Mit dem Schritt in die Online-Welt verblasst der Ort, an dem wir uns befinden, vor der grenzenlosen Integration des Cyberspace. Der neue virtuelle Raum fordert unser gewohntes Raumdenken heraus: Ist Cyberspace nur metaphorisch Raum? Ist das Internet ausgedehnt? Wo befinden sich eigentlich meine E-Mails?

Um sich mit diesen Fragen systematisch auseinandersetzen zu können, verdient zunächst der Begriff der Virtualität genauere Aufmerksamkeit. Er tritt nicht erst zusammen mit der Computertechnik in Erscheinung, sondern stellt als virtualis bereits in der Scholastik ein wichtiges Konzept zur Klärung theologischer Fragen, etwa nach Trinität und Präsenz in der Eucharistie, dar. Eine Identifikation mit dem modernen Begriff der Virtualität scheint vor der grundsätzlichen Unterscheidung zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit problematisch, denn während die virtualis eine Sonderform der Möglichkeit darstellt, ist computergenerierte Virtualität bereits verwirklichter effectus. Allerdings vermittelt hier der Begriff der Information: sie trägt das Vermögen in sich, ihre Wirkung zu entfalten, wenn sie entsprechend verarbeitet wird. Und sie ist an einen physischen Träger gebunden, der wiederum im Raum lokalisiert ist. Das Konzept der Datenträger fügt sich unkompliziert in unsere bekannte Raumvorstellung ein. Auf dem USB-Stick sind Daten in einer hierarchischen Ordnerstruktur sorgsam geordnet untergebracht, um die physische Wirklichkeit sicher von einem Computer zum nächsten durchqueren zu können. Doch wenn wir uns fragen, wo genau die Daten auf dem Stick zu finden sind, wird schnell klar, dass die Ordnerstruktur nur eine virtuelle Darstellungsform ist. Auf einer anderen Ebene scheinen Nullen und Einsen endlos aufgereiht. Die Träger wirken wie Container, in denen ein für Menschen nicht zu begreifendes Durcheinander herrscht – was ironischerweise nahe an der technischen Realität ist, wenngleich es sich natürlich nicht um Unordnung handelt.

Nachdem wir es bei Datenträgern und dem Internet auf den ersten Blick mit Phänomenen der Entortung zu tun haben, muss die Perspektive ein wenig geweitet werden, um auf dem Feld des Umgangs mit Computern neue Orte auszumachen. Unsere menschliche Vorstellung von Ort nehmen wir mit in den Cyberspace. Das E-Mail-Postfach ist so ein virtueller Ort. Mit dem Eingeben unseres Passworts betreten wir einen privaten Bereich. Im Eingang finden wir neue und vielleicht auch gelesene Nachrichten, die mit einer virtuellen räumlichen Ausdehnung dargestellt werden. Der Eingang muss aufgeräumt werden, wenn er zu voll wird, Nachrichten werden in Ordnern abgelegt oder landen im Papierkorb. Wir vertrauen dem Programm persönliche Informationen an, weil wir uns in einem geschützten und abgegrenzten Ort wähnen (möchten).

Neben der Untersuchung dieser neuen Orte, von denen die Mailbox nur eines von vielen Beispielen ist, gilt diese Arbeit auch der Untersuchung von Aspekten des Orts in dreidimensionalen virtuellen Welten, die direkt auf die Kreation von virtuellen Orten abzielen. Es geht dabei nicht um die Simulation realer Orte in einem Computersystem, sondern um die Schaffung neuer Orte mit eigenen Qualitäten.

Der Umgang mit modernen Computer relativiert unseren Bezug zu Orten. Aber er bringt auch neue Orte mit sich, von den aus wir die alten besser verstehen können.